Segelkurs 2014 in Berlin

„Und wir sind Weltmeister!“
Segelkurs 2014 in Berlin vom 08.07.-16.07.2014

von Annemarie Jöne

Am Dienstag, den 08.07.2014, wurden die Schüler, die nicht aus Berlin kamen, mit zwei Autos an verschiedenen Punkten auf der Strecke nach Berlin „eingesammelt“. Somit begann die Segelwoche für diese Schüler, unter anderem auch für mich, mit einer viel zu langen Fahrt und einem ewig langen Stau. Doch da ich dieses Jahr zum ersten Mal bei der Segelwoche dabei war und noch niemanden kannte, war diese Fahrt schon einmal eine gute Gelegenheit, ein paar der anderen Teilnehmer näher kennen zu lernen. Als wir schließlich mit zweistündiger Verspätung im Bootshaus ankamen, wurden wir bereits von den Berlinern mit einem leckeren Abendessen empfangen. Bei der darauf folgenden Vorstllungsrunde hatten wir schließlich die Gelegenheit, alle 20 Teilnehmer (davon leider nur vier Mädchen!) kennen zu lernen. Zuerst hatte ich leichte Bedenken, ob so eine doch recht bunt gemischte Truppe auf einem recht engen Raum für eine Woche gut zusammen leben würde, aber diese Bedenken verflogen innerhalb der nächsten Tage sehr schnell! Die Meisten sahen sich nach der Vorstellungsrunde noch gemeinsam das unglaubliche WM-Halbfinale Deutschland-Brasilien an, bevor wir, völlig müde von der langen Reise, in die Betten fielen.

Am Mittwochmorgen hatte sich das Regenwetter zum Glück soweit verzogen, dass wir nach dem Frühstück damit anfangen konnten, die Boote zu erkunden. Natürlich wurden vorher, wie jedes Jahr, alle Handys eingesammelt, die jeden Tag für eine Stunde herausgegeben wurden, damit wir nicht die ganze Zeit an den Dingern hängen konnten.

Für die Sehbehinderten gab es eine Vorführung eines Bootes auf dem Wasser, während die Vollblinden, also auch ich, ein Boot an Land in Ruhe ertasten konnten. Wir lernten, wie man die einzelnen Teile des Bootes benennt und einige Knoten macht. Bei der Menge an Begriffen schwirrte mir zunächst noch der Kopf, aber im Laufe der sehr praxisorientierten Segelwoche lernte ich doch erstaunlich schnell. Bevor das schlechte Wetter uns noch einmal überraschen konnte, ging es, vorwiegend mit den größeren Booten, zum ersten Mal aufs Wasser. Ich war mit zwei Segellehrern und ein paar anderen Teilnehmern auf einem großen Boot und mir wurde schon sehr schnell klar, dass mir das Segeln großen Spaß machen würde!

Nach dem Mittagessen begann es leider wieder zu regnen, weswegen wir den Nachmittag vorwiegend im Bootshaus verbrachten. Dort standen uns viele unterschiedliche Gesellschaftsspiele zur Verfügung, die wir jederzeit nutzen durften. Darunter war zum Beispiel ein großes taktiles Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel für Blinde, das ein Betreuer (Benjamin Johannfunke aus Wiedenbrück, Anm. d. Red.) extra für den BFS gemacht hatte. Es folgte ein wie an allen Tagen wirklich leckeres Abendessen. Jeden Tag war ein anderes Zimmer für den Küchendienst zuständig und unterstützte somit die Kochfrau beim Decken und Abräumen der Tische und anderen kleinen Küchenarbeiten. Doch da man immer zu Viert oder Sechst für diese Arbeit zuständig war, war dies gut zu bewältigen.

Am Donnerstag segelten wir am Vor- und Nachmittag bei gutem Wetter und viel Wind und ich lernte erstaunlich schnell dazu. Während diejenigen, die schon öfter dabei waren, auf Zweier- oder Einzelbooten segelten, bekamen die „Neulinge“ besonders viel Unterstützung in den größeren Booten mit meistens zwei Segellehrern an Bord. Somit konnten wir in kürzester Zeit viel dazulernen und auf den Booten auch jede Menge Spaß haben. Den Tag beendeten wir mit einem Grillabend, leider in strömendem Regen unter dem Pavillon.

Am Freitagmorgen ereignete sich dann eins meiner persönlichen Highlights der Segelwoche, nämlich der Ausflug zur 21. Hundertschaft der Berliner Polizei. Um 10.00 Uhr wurden wir vom Bootshaus mit vier Einsatzwagen von mehreren Polizisten abeholt und zum riesigen Gelände der Hundertschaft gefahren. Dort teilten wir uns in zwei Gruppen auf. Ich sah mir mit meiner Gruppe zunächst noch einmal gründlicher die Einsatzwagen an. Die Polizisten erklärten uns alles dazu, was wir wissen wollten, zum Beispiel wie viele Polizisten an einem Einsatz beteiligt sind oder wo sich das Funkgerät befindet. Im Anschluss heizten wir mit ebendiesem Einsatzwagen in einem irren Tempo mit Martinshorn und Blaulicht über das Polizeigelände. Diese turbolente Fahrt machte mir wirklich einen Riesenspaß, aber ich verstand auch, dass die Polizisten die Straßen bei einem richtigen Einsatz immer gut im Blick haben müssen, um in einem solchen Tempo nichts zu überfahren.

Als nächstes durften wir uns die Ausrüstung der Polizisten anschauen. Auch hier gab es wieder die Gelegenheit, überall Fragen zu stellen und vor allem alles selbst anzufassen und anzuprobieren. Unter der ziemlich schweren Einsatzkleidung wurde mir schon nach einigen Minuten echt warm. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie die Polizisten es für mehrere Stunden bei heißen Temperaturen darunter aushalten!

Nun wurden uns mehrere Fahrzeuge gezeigt und erklärt. Wir durften uns in einen „Panzer“ setzen und wurden in einem Wasserwerfer und in einem Gefangenentransporter mit Einzel- und Sammelzellen über das Gelände gefahren. Zum Abschluss gab es noch eine kleine Fragerunde, bis wir leider schon wieder aufbrechen mussten. Ich weiß, dass ich in meinem Leben vermutlich keinen so tiefen Einblick in die Arbeit der Polizei bekommen werde wie bei diesem Ausflug und genau deshalb hat es mir dort so gut gefallen!

Am Nachmittag segelten wir ein weiteres Mal, allerdings bei sehr hohen Windstärken. Ich durfte zum ersten Mal auf einen Partner, also mit einer anderen Teilnehmerin auf ein Zweierboot. Da sie bereits eine sehr erfahrene Seglerin war, konnte sie mich unterstützen und wir wurden ein gutes Team. Im Gegensatz zu einem anderen Boot kenterten wir zum Glück nicht und konnten dem Wind, obwohl es anstrengend war, standhalten.

Es folgte noch ein weiterer Programmpunkt, nämlich das Lach-Yoga, das von vielen Teilnehmern angenommen wurde. Wir hatten auch tatsächlich eine Menge Spaß bei diversen Lachübungen wie dem Liederlachen, dem Steigerungslachen und dem Pinguinlachen. Am Ende sollte es eigentlich noch eine kleine Traumreise zur Entspannung geben, doch da wir alle immer noch vom Lachen angesteckt waren, wurde es wohl eher eine Lachreise ohne Ruhe…

Der Freitag war für mich der ereignisreichste Tag der Segelwoche, da sich an das Lach-Yoga auch noch die Nachtfahrt anschloss. Um 22.30 Uhr bestiegen die Teilnehmer und Segellehrer, die mitmachen wollten, ein großes Schiff und segelten auf den See hinaus. Dort waren wir für einige Minuten ganz still, um lediglich die Geräusche des Windes, des Wassers und eines Feuerwerks in der Ferne zu hören. So eng verbunden mit der Natur habe ich mich schon lang nicht mehr gefühlt und daher habe ich diese Nachtfahrt auch in vollen Zügen genossen.

Am Samstag ging es schon wieder früh mit dem Programm weiter, da wir in der Fußgängerzone einen Trödelstand betrieben, um mehr Geld für die folgenden Segelwochen zusammenzutragen. Die Teilnehmer aus Berlin hatten wirklich viele Sachen von zu Hause mitgebracht, die wir trotz des teilweise sehr regnerischen Wetters gut verkauften, sodass wir am Ende über 700€ eingenommen hatten. Die, die gerade nicht am Trödelstand halfen, gingen entweder zum Shoppen in die Borsig-Hallen, ein Einkaufszentrum in Tegel, oder hatten Segeltheorieunterricht.

Da es zu spät und zu nass zum Segeln war, sprangen wir am späten Nachmittag alle noch einmal in den Tegler See, der zu dieser Zeit erfrischend kühl war. Am Abend fand noch ein Tischtennistournier statt und diejenigen, die nicht teilnahmen, spielten Gesellschaftsspiele.

Der Sonntag gehörte wieder voll und ganz dem Segeln. Am Vormittag segelte ich wieder auf einem größeren Boot, am Nachmittag wieder auf einem Partner. Allerdings war der Wind am Nachmittag so schwach, dass wir lediglich ein wenig auf dem Wasser herumdümpeln konnten.

Am Abend sahen wir uns dann natürlich das große WM-Finale Deutschland – Argentinien auf einer großen Leinwand im Hauptraum des Bootshauses an. Die, die die Beschreibungen des Kommentators zu ungenau fanden, hörten sich das Spiel über Kopfhörer im Radio an und waren dem Fernseher immer fünf Sekunden voraus, sodass sie schon eher „Tooor!“ brüllen konnten, als endlich das endscheidende 1:0 fiel. Natürlich feierten wir noch ein bisschen, als Deutschland endlich Weltmeister wurde.

Weil wir ja jetzt Weltmeister waren, konnten wir uns nach dem Drei-Sterne-Abendessen am Montagmorgen natürlich auf ein Vier-Sterne-Frühstück freuen. Allerdings ging es schon wieder früh mit der S-Bahn los, da an diesem Tag die Führung durch den Bundestag anstand. Ich hatte mich schon sehr auf diese Führung gefreut, weil es hieß, wir dürften auch in den Plenarsaal gehen und uns beispielsweise auch auf den Stuhl der Kanzlerin setzen. Tja, das war zwar die Vereinbarung, es blieb für uns aber eine Wunschvorstellung, da wir kurz vor der Führung erfuhren, dass wir wegen „Bauarbeiten“ (in Wirklichkeit nur ein paar gelangweilte Handwerker) nicht in den Saal durften. Die Besuchertribüne war auch schon für andere Gruppen reserviert, daher fiel das Thema Plenarsaal für uns leider weg. Ziemlich enttäuscht nahmen wir dann alle an der Führung durch den Bundestag teil, die im Nachhinein recht interessant, aber nicht gerade blindenfreundlich war („Für die, die sehen können: Hier sehen Sie…“). Mein persönliches Highlight waren jedoch zwei sehr detaillierte Tastmodelle vom Gebäude selbst und der Umgebung, die mir als Blinde einen sehr guten Überblick darüber lieferten, wo ich mich gerade befand. Nach der Führung ging es hinauf in die Kuppel des Bundestages. Ich hatte mich mit einem Audio-Guide bewaffnet, der mir, während ich die Rampe zur Kuppel hochlief, sehr viele interessante Informationen über den Bundestag und die umliegenden Gebäude lieferte. Aber trotzdem: Eine Führung durch den Plenarsaal wäre doch spannender gewesen!

Die Berliner, die die Stadt ja schon ausreichend kennen sollten, fuhren wieder zurück zum Bootshaus, während einige Interessierte von drei Betreuern durch die Stadt geführt wurden. Das Wetter war nun zum Glück wieder sonnig, sodass wir uns in Ruhe das Brandenburger Tor und einige andere sehenswerte Dinge anschauen konnten. Besonders beeindruckend fand ich das Stehlendenkmal zum Gedenken an den Holokaust im Zweiten Weltkrieg. Unterschiedlich hohe, aber gleich lange Steinblöcke, die Stehlen, waren in gleichem Abstand voneinander angeordnet und wurden immer höher. Je weiter man in dieses imposante Labyrinth aus Steinblöcken hineinging, desto stiller wurde es, bis man den Lärm der Großstadt kaum noch hören konnte.

Am Ende des Stadtrundgangs aßen wir noch ein Eis und fuhren dann mit der S-Bahn zurück ins Bootshaus. Obwohl wir vom Tag alle sehr geplättet waren, ging es noch einmal zum Segeln aufs Wasser und es gab wieder einen netten Grillabend.

An unserem letzten ganzen Tag in Berlin hatten wir am Vormittag zum Glück das perfekte Wetter für unser Abschlusssegeln: Die Sonne schien, es war warm und der Wind war stark, aber nicht zu böhig. Wir durften uns wünschen, auf welchem Boot wir segeln wollten und ich wählte wieder den Partner. Ein letztes Mal genoss ich das Schaukeln auf dem Wasser und den Wind, der die Segel aufblähte und mir um die Ohren pfiff. Leider war das letzte Segeln viel zu schnell schon wieder vorbei und wir bauten die Boote wieder ab.

Nach dem letzten Mittagessen trafen wir uns, da es mittlerweile sehr heiß geworden war, am Wasser und spielten, aufgeteilt in drei Mannschaften, Wasserspiele. Bei der Sandstaffel saß einer aus jeder Mannschaft auf einer Badeinsel auf dem See und die Anderen mussten mit Bechern voller Sand nach der Reihe zu ihm schwimmen und ihm den Sand übergeben. Wenn die Flasche, in der der Sand gesammelt wurde, voll war, hatte die Mannschaft gewonnen. Eine weitere Aufgabe bestand darin, den Kutter an einem Seil eine bestimmte Strecke auf Zeit zu ziehen. Außerdem wurde Wasserbombentennis gespielt, bei dem Wasserbomben auf Handtüchern von einer Spielfeldseite auf die andere geschleudert wurden. Zwischendurch gab es immer wieder kleine Theorierästsel, bei denen wir unsere Segelkenntnisse unter Beweis stellen konnten. Zum Abschluss badeten wir alle noch ein wenig im See.

Nach diesen anstrengenden, aber sehr lustigen Spielen folgte auch schon so langsam das Packen, weil dafür am Mittwochmorgen kaum noch Zeit sein würde. In einer Abschlussrunde konnte jeder noch einmal erzählen, wie ihm die Segelwoche gefallen hat und wir kamen alle zu dem Schluss, dass dies eine sehr anstrengende, aber wirklich schöne und erlebnisreiche Woche war. In dieser Runde bekamen wir auch alle unsere Segel-T-Shirts, die uns immer an diese Woche erinnern würden.

Das große Verabschieden fand dann am Mittwochmorgen statt, als wir, die „Nicht-Berliner“, schon relativ früh unsere Fahrt nach Hause antraten. 

Ich persönlich fand die Woche sehr aufregend und abwechslungsreich: Das Segeln war für mich eine komplett neue Erfahrung, aber es hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich in Zukunft gerne noch einmal segeln möchte. Die Ausflüge brachten viel Abwechslung in das Programm und vor allem der Besuch bei der Polizei hat mir viel Spaß gemacht. Und nicht zu vergessen: Auch das Essen war reichhaltig und vielfältig! Alles in allem waren wir eine nette Truppe und ich glaube, die Woche wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.